Yes, you can!
Im Ohr "Choose Your Fighter" von Ava Max... Jetzt geht's los! Der finale EM-Countdown startet, die Qualifikation kann beginnen
Montag, 10. Juni, mein erster Tag bei der Leichathletik-EM in Rom: Speerwurf-Qualifikation, Gruppe A, Startnummer 5. Um 10:25 Uhr soll's im Olympiastadion losgehen. Der heiße Countdown läuft...
06.00 Uhr: Aufstehen, der Wecker läutet. Am Abend vor dem Wettkampf lege ich alle meine Sachen sehr genau und ordentlich auf, für jede nur denkbare Situation. Tapes für die Finger, Schere, Trinkflasche, ein Baumharz, damit der Griff auch sitzt, falls ich schwitze, Startnummer, mein Wettkampfgewand, Rucksack usw.
06:30: Frühstück. Ich habe keine wirkliche Essensroutine am Tag X. Das entscheide ich spontan, was es am Buffet so gibt. Joghurt, Früchte, Tee...
07:30: Mit dem Shuttlebus geht's ins Olympiastadion. Fahrzeit: 20 - 30 Minuten, Montagrüh vielleicht auch ein bisschen länger. Normalerweise schauen wir, Coach Gregor Högler, Physio Freddy Siemes und ich, dass wir gut zwei Stunden vor Wettkampfbeginn im Stadion sind. Auf der Fahrt ins Stadion läuft meistens noch meine persönliche Playlist. Lieblingssong 2022 war Electric Love, in den letzten Monaten hat sich Choose Your Fighter von Ava Max als meine persönliche Nummer eins herauskristallisiert: "Don’t let nobody tell you, you can’t, cause you can. You can be a lover or a fighter, whatever you desire… Wings of a butterfly, eyes of a tiger. Whatever you want, baby, choose your fighter…"
08:40: Ungefähr 1:40 Stunden vor Wettkampfbeginn starte ich mein Aufwärm-Programm, Physio Freddy Siemes lockert mir noch die Muskeln. Die Übungen sind fast immer dieselben, außer ich merke, dass ich den Arm oder den Rücken noch besonders intensiv dehnen muss. Das kennst du vom Training, das passiert instinktiv. Gesprochen wird ab sofort nur mehr recht wenig bis gar nichts. Ich bin eine, die schnell den Tunnelblick bekommt und fast alles um sich herum ausblendet.
09:25: Ich muss jetzt in den sogenannten Call Room, eine Art Wartezone. Pro Bewerb werden die Starter/Starterinnen zusammengerufen, man muss die elektronischen Geräte abdrehen und warten. Man sitzt herum und hofft, dass die Zeit schnell vergeht. Das kann mühsam sein, wenn z.B. die Aircondition zu kalt eingestellt ist. Aber das ist insofern o.k., weil es für alle gleich ist. Manchmal wechselt man mit ein paar Kolleginnen noch ein paar Worte, Musik darf man jetzt nicht mehr hören. Unter den Speerwerferinnen gibt es ein paar, die ich besser kenne wie Lina Muze-Sirma (LAT) – mit ihr war ich z.B. am Tag nach dem Diamond-League-Finale in Eugene gemeinsam in der Stadt unterwegs. Da wirst du ev. noch kurz angesprochen, die haben das im Gefühl, ob es passt oder nicht. Das Warten ist für alle unangenehm, aber wie gesagt auch für alle gleich. Das muss man so hinnehmen.
09:55: Die letzten 30 Minuten, im Stadion, vergehen meistens wie im Flug. Du steckst deinen Anlauf ab, probierst die Distanz aus, gewöhnst dich an die Atmosphäre und wirfst ein - max. 3, 4 Probewürfe. Ich habe mir in der letzten Saison abgewöhnt, schon beim Aufwärmen den Speer in die Hand zu nehmen. Die Probewürfe im Stadion genügen völlig. Explodieren, in Form von weiten Würfen, will ich erst, wenn’s wirklich zählt.
10:32: Ich habe heute Startnummer 5, Qualifikationsgruppe A. Die letzten Sekunden vor dem ersten Wurf spielen sich bei mir wie in Trance ab. Du kontrollierst noch, ob du genug Harz oder Magnesium auf den Fingern hast, schnallst deinen Gürtel enger. Denken ist in dieser Phase nicht mehr das Gebot der Stunde. Du blendest alles aus, reagierst intuitiv. Nur so bist du impulsiv genug. Wer denkt, ist automatisch nicht schnell genug und verliert.
Dann geht’s los: Acht normale Schritte, beginnend mit dem linken Fuß, danach ein kurzer Zwischenschritt und drei sogenannte Impulsschritte, um den Wurf entsprechend auslösen zu können. Ich merke schon beim Abwurf, ob der Wurf über die 60-m-Marke fliegt. Bei der EM wurde die Direkt-Qualifikationsnorm mit 60,50 m festgelegt. Zum Vergleich: Mein ÖLV-Rekord steht bei 66,06 m. Ich muss in der EM-Qualifikation also 60,50 m werfen, damit ich direkt ins Finale komme. Sonst heißt es: unbedingt unter die ersten 12 kommen, die am Dienstagabend um die Medaillen werfen.