Eine EM-Medaille ist ein realistisches Ziel!

Victoria Hudson über…

… ihre Liebe zum Werfen: „Ich war ca. 10 Jahre alt, hab‘ immer schon gerne mit dem Ball im Garten geworfen oder mit meinem Papa abschießen. Er ist gebürtiger Engländer, hat mich auch zu seinen Cricket-Spielen mitgenommen. Da hat sich schnell herausgestellt, dass ich als Mädchen mindestens genauso weit werfe wie die (erwachsenen) Männer. Eine Freundin von mir war im LA-Klub, mit ihr bin ich (als 13-Jährige) mitgegangen und habe sofort am Speerwerfen Gefallen gefunden.“

…den Rekordwurf am 26. April 2021: „Das war der erste Wettkampf, allererste Wurf nach meiner Ellbogen-Operation bzw. Rehabilitation. Ich war vollgepumpt mit Adrenalin. Das Meeting war sehr klein, eine Art Vorbereitungswettkampf. Es war empfindlich kalt, so um die zehn Grad, dazu herrschte eine hohe Luftfeuchtigkeit und es wehte ein starker Rückenwind. Eigentlich ein Wetter zum Abgewöhnen, aber wir wollten unbedingt werfen, weil ich im Training schon richtig gut drauf war. Lisi (Eberl), meine Trainerin, hatte Angst, dass meine Hochform nicht mehr lange halten würde. Also haben wir das Meeting durchgezogen. Ich habe – trotz der unwirtlichen Bedingungen - meine ganze Kraft in diesen ersten Durchgang gesteckt und der Speer ist richtig schön und weit geflogen. 64,68 m – mit so einer Weite hätte ich nie im Traum gerechnet. Das war mein erstes richtiges Ausrufezeichen. Deshalb durfte ich auch mit zu den Olympischen Spielen nach Tokio. Im zweiten Durchgang hatte ich mein ganzes Pulver verschossen, da reichte es nur mehr zu 58 m. Danach habe ich den Wettkampf beendet. Was man zu dieser Weite sagen muss: Der Wind hat den Speer richtiggehend getragen und mir sicher zwei Meter gebracht.“

… ihren ínternationalen Durchbruch: „Ich würde sagen, das ganze letzte Jahr hat dazu beigetragen, dass ich mich in der Weltklasse etablieren konnte. 2023 habe ich konstant gut geworfen. Besonders stolz bin ich auf den zweiten Platz in Brüssel, im Rahmen der Diamond-League. Ich habe bei Windstille 64,65 m im dritten Durchgang geworfen. Das war definitiv der beste Wurf in meiner bisherigen Karriere. Sicher ein, zwei Klassen besser als beim Rekordwurf vor zwei Jahren in Eisenstadt. Der Wurf in Brüssel war um eine Klasse besser. Ich hatte nach der WM jede Menge Selbstvertrauen. Bis dahin war meine Leistung bei Großereignissen wie Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften überschaubar gewesen. Teilweise, weil ich nicht ganz fit angetreten bin. Größtenteils aber, weil mir das Vertrauen in meine (Wurf-) Technik gefehlt hat. Da war ich noch nicht stabil. Erst 2023 – gemeinsam mit Gregor – haben wir das richtige Rezept gefunden.“

… die bevorstehende Olympia-Saison 2024: „Ich denke jetzt nicht jeden Tag an die Spiele in Paris. Ich nehme es Schritt für Schritt. Davor ist (im Juni) noch die EM in Rom, die ist für mich auch extrem wichtig. Zwischen Rom und Paris liegen gut zwei Monate, d.h. da geht sich nochmals ein neuer Aufbau aus. D.h. ich werde – unter der Voraussetzung, dass ich fit bin – beide Großereignisse voll mitnehmen. Und bei beiden habe ich Chancen, weit vorne zu landen. Davon bin ich überzeugt.“

… gestiegene Aufmerksamkeit: „Der fünfte Platz bei der WM in Budapest und auch die Qualifikation für das Diamond-League-Finale in Eugene haben mir nicht nur Selbstvertrauen gebracht, sondern ich bin dadurch auch zu neuen Partnern gekommen – wie Ausrüster adidas oder IOC-Olympiasponsor P&G. Dafür bin ich sehr dankbar!“

… Karriere-Ziele: „Ich führe aktuell die Europa-Rangliste an. Also eine EM-Medaille, im Juni 2024 in Rom, liegt definitiv im Bereich des Möglichen. Für Olympia 2024 ist der Finaleinzug eine realistische Vorgabe. Eine Olympia-Medaille ist der absolute Traum, das ist wahrscheinlich erst für 2028 in Los Angeles das erklärte Ziel. Für Paris kommt das wahrscheinlich zu früh…“

... private Hobbies: "Alles, was man zu Hause - nach dem Training - machen kann. Ich lese irrsinnig gerne, teilweise auch 1.000 Seiten starke Wälzer, am liebsten High-Fantasy-Romane. Ich bin handwerklich begabt, Häkeln ist auch so ein Ding, wo man sich zu 100 Prozent aufr die Sache konzentrieren muss. Das tut mir gut, da kann ich richtig gut abschalten. Mein neuestes Hobby ist Kochen und Backen. Auch das wirk auf mich unglaublich beruhigend."

The Final Countdown – wenn’s ernst wird – die wichtigsten Minuten vor dem Wurf:

Am Tag X ist Ruhe Programm. Ich bleibe die meiste Zeit am Zimmer, gehe nur kurz Mittagessen oder – wie bei der WM in Budapest – mit Sarah (Lagger, Mehrkämpferin) auf einen Kaffee. Vor dem Wettkampf lege ich alle meine Sachen sehr genau und ordentlich auf, für jede nur denkbare Situation. Tapes für die Finger, Schere, Trinkflasche, ein Baumharz, damit der Griff auch sitzt, falls ich schwitze, Startnummer, mein Wettkampfgewand, Rucksack usw. Normalerweise schauen wir, Coach Gregor Högler, Physio Freddy Siemes, dass wir gut zwei Stunden vor Wettkampfbeginn im Stadion sind. Auf der Fahrt ins Stadion läuft meistens noch meine persönliche Playlist. Lieblingssong 2022 war Electric Love, 2023 hat sich Choose Your Fighter von Ava Max als meine persönliche Nummer 1^herauskristallisiert: Don’t let nobody tell you, you can’t, ‚cause you can. You can be a lover or a fighter, whatever you desire… Wings of a butterfly, eyes of a tiger. Whatever you want, baby, choose your fighter…

1:40 Stunden vor Wettkampfbeginn starte ich mein Aufwärm-Programm, Physio Freddy Siemes lockert mir noch die Muskeln. Die Übungen sind fast immer dieselben, außer ich merke, dass ich den Arm oder den Rücken noch besonders intensiv dehnen muss. Das kennst du vom Training, das passiert instinktiv. Gesprochen wird ab sofort nur mehr recht wenig bis gar nichts. Ich bin eine, die schnell den Tunnelblick bekommt und fast alles um sich herum ausblendet.

Rund eine Stunde vor dem Start muss ich in den sogenannten Call Room, eine Art Wartezone. Pro Bewerb werden die Starter/Starterinnen zusammengerufen, man muss die elektronischen Geräte abdrehen und warten. Man sitzt herum und hofft, dass die Zeit schnell vergeht. Das kann mühsam sein, wenn z.B. die Aircondition zu kalt eingestellt ist. Aber das ist insofern o.k., weil es für alle gleich ist. Manchmal wechselt man mit ein paar Kolleginnen noch ein paar Worte, Musik darf man jetzt nicht mehr hören. Unter den Speerwerferinnen gibt es ein paar, die ich besser kenne wie Mackenzie Little (AUS), Tori Peeters (NZL) oder Lina Muze-Sirma (LAT) – wir waren z.B. am Tag nach dem Diamond-League-Finale in Eugene gemeinsam in der Stadt unterwegs. Da wirst du ev. noch kurz angesprochen, die haben das im Gefühl, ob es passt oder nicht. Das Warten ist für alle unangenehm, aber wie gesagt auch für alle gleich. Das muss man so hinnehmen.

Die letzten 30 Minuten, im Stadion, vergehen meistens wie im Flug. Du steckst deinen Anlauf ab, probierst die Distanz aus, gewöhnst dich an die Atmosphäre und wirfst ein 3, 4 Probewürfe. Ich habe mir in der letzten Saison abgewöhnt, schon beim Aufwärmen den Speer in die Hand zu nehmen. Diese 3, 4 Probewürfe genügen völlig. Explodieren, in Form von weiten Würfen, will ich erst, wenn’s wirklich zählt.

Die letzten Sekunden vor dem 1. Wurf spielen sich wie in Trance ab. Du kontrollierst noch, ob du genug Harz oder Magnesium auf den Fingern hast, schnallst deinen Gürtel enger. Denken ist in dieser Phase nicht mehr das Gebot der Stunde. Du blendest alles aus, reagierst intuitiv. Nur so bist du impulsiv genug. Wer denkt, ist automatisch nicht schnell genug und verliert.

Dann geht’s los: 8 normale Schritte, beginnend mit dem linken Fuß, danach ein kurzer Zwischenschritt und drei sogenannte Impulsschritte, um den Wurf entsprechend auslösen zu können. Ich merke schon beim Abwurf, ob der Wurf über die 60-m-Marke fliegt. Alles, in der Nähe von 64 m und darüber, ist ein guter Wurf. Da kommst dann automatisch auch in die Näher der Medaillen, würde ich sagen.

 

Word-Rap:

Was magst du lieber, Rap oder Techno? Techno.

Pizza oder Pasta? Wenn ich mich entscheiden muss: Pizza. Ich esse generell sehr gerne… Kochen ist mein neuestes Hobby.

Sneakers oder Stöckelschuhe? Das ist einfach: Sneakers/Sportschuhe.

Morgen- oder Nachtmensch? Ich bin ganz klar ein Morgenmensch. Mein Freund, er heißt auch Gregor, wie mein Coach, arbeitet bei der Berufsfeuerwehr. Er steht unter der Woche normalerweise um 05:15 auf. D.h. wir gehen normalerweise auch relativ zeitig schlafen.